Anfang der 1970er Jahre verstarben innerhalb von zwei Jahren die Musik-Ikonen Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison. Sie alle wurden 27 Jahre alt. Prompt gingen sie in den „Klub 27“ ein – ein Mythos, nach dem das Alter 27 vor allem für musikalische, aber auch andere popkulturelle Berühmtheiten besonders lebensgefährlich sei. Auch Jahrzehnte später ist der Klub 27 fester Bestandteil unserer Kultur, zuletzt angeheizt durch den Tod von Kurt Cobain (1994) und Amy Winehouse (2011) – beide verstarben mit 27 Jahren. Alles nur Zufall?
Klub 27 fesselt bis heute in vielen Kulturen
Das Sterberisiko berühmter Personen ist seither Gegenstand vieler Studien. „Es gibt kein erhöhtes Risiko mit 27 Jahren zu sterben, im Vergleich zu 26 oder 28 Jahren“, sagt Patrick Kaminski.
Der Stuttgarter Soziologe schaut gemeinsam mit seinem US-Forschungskollegen Zackary Okun Dunivin aus einer ganz anderen Perspektive auf den Klub 27. „Die interessante Frage für uns ist nicht, ob der Mythos wahr ist. Er ist nicht wahr, das haben viele Forscher*innen vor uns bereits gezeigt“, so Kaminski, der am Institut für Sozialwissenschaften im Bereich Computational Social Science forscht. „Viel interessanter fanden wir die Frage, warum wir noch heute über den Klub 27 sprechen und wie dieser Mythos die kulturelle Wahrnehmung beeinflusst.“
Wer mit 27 Jahren stirbt, wird posthum berühmter
Kaminski und Dunivin werten einen Wikipedia-Datensatz berühmter Persönlichkeiten aus. Wenig überraschend: 27-jährige Berühmtheiten haben kein höheres Sterberisiko als vergleichbare Altersgruppen. Spannend hingegen ist ihre Erkenntnis: Mit ihrer Analyse können die beiden Forschenden zeigen, dass, wer mit 27 Jahren stirbt, deutlich berühmter ist. Auffällig sei außerdem, dass innerhalb der Gruppe der 27-jährigen, Musiker*innen noch berühmter waren als etwa Schauspieler*innen.
Wikipedia-Klickzahlen liefern Hinweise, warum dem so ist. Es gibt Sammelseiten zum Klub 27 in elf Sprachen, verlinkt sind dort seine Mitglieder. Klicks auf die Personenprofile werden einerseits durch diese Sammelseiten generiert, andererseits über Suchmaschinenanfragen. Selbst ohne diese Sammelseiten, gelangen die mit 27 gestorbenen Künstler*innen zu höherer Berühmtheit als vergleichbare Kolleg*innen aus der Branche. „Das zeigt uns, dass der Klub 27 über verschiedenste Kulturkreise verbreitet ist und zu einem starken kulturellen Narrativ geworden ist“, erklärt Kaminski.
Mythen sind selbst geschaffene Erklärungshilfen
Das bedeutet auch: Der Mythos ist inzwischen zu einem eigenständigen kulturellen Phänomen geworden. Mit dem Thomas-Theorem, einer sozialpsychologischen Theorie, gesprochen: Wenn Menschen Situationen als real definieren, sind sie real in ihren Konsequenzen. Ein ähnlicher Mechanismus wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
„Dadurch, dass Menschen weiterhin über den Klub 27 sprechen als wäre er real, bleibt dieser Mythos Teil unseres kulturellen Gedächtnisses“, sagt Kaminski. Diesen Prozess bezeichnen Forschende als memetische Reifizierung. Außerdem sehen sie Stigmergie im Spiel. Das ist die Idee, dass die Handlung einer Person Spuren in der Umwelt hinterlässt, die andere als Orientierung für eigene Handlungen nehmen. Ein Beispiel dafür sind Trampelpfade, die sich abseits von geebneten Wegen auftun und signalisieren, hier entlang geht es vermutlich schneller. Übertragen auf den Klub 27 heißt das: Die Existenz der Wikipedia-Sammelseiten trägt dazu bei, dass User*innen vermehrt auf dort gelistete Persönlichkeiten klicken.
Die Pfadabhängigkeit macht die Erklärung hinter dem Mythos komplett: Erst das unwahrscheinliche Ereignis von vier Todesfällen junger Musiker*innen gleichen Alters, liefert die Bedingung dafür, dass der Mythos entstehen kann. „Basierend auf unseren Daten, schätzen wir die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses auf 1 zu 100.000“, so Kaminski.
Mythen zeigen, wie kulturelles und geschichtliches Denken funktionieren
„Wir konnten mit unserer Studie zeigen, dass der kulturelle Impact des Klub 27 über Generationen hinweg Bestand hat und bis heute Menschen fasziniert“, so Kaminski. Das Beispiel des Klubs 27 zeige auch, wie sich ein kulturelles Phänomen, ausgehend von einem unwahrscheinlichen Ereignis, verselbständigt. „Wie sich ein solches Phänomen innerhalb einer Kultur entwickelt, ist unmöglich vorherzusagen.“
Fest stehe aber, dass uns genau solche Mythen helfen, kulturelle Schemata zu entwickeln und damit Geschehnisse einzuordnen, für die es keine plausible Erklärung gibt und die letztlich auf Zufällen beruhen. Die Analyse veranschauliche auch, wie kulturelle Wahrnehmung funktioniert und welche Bedeutung wir geschichtlichen Ereignissen zuschreiben.
Publikation
Dunivin, Zackary Okun and Kamniski, Patrick: Path dependence, stigmergy and memetic reification in the formation of the 27 Club myth. In: Proceeding of the National Academy of Science (PNAS), 121, Nr. 46, November 4, 2024, DOI: 10.1073/pnas.2413373121.
Jacqueline Gehrke
Redakteurin Wissenschaftskommunikation