Expertin für Technikphilosophie und engagierte Wissenschaftskommunikatorin: Amrei Bahr, Juniorprofessorin am Institut für Philosophie an der Universität Stuttgart, mischt regelmäßig in öffentlichen Diskussionen über die Chancen und Risiken von Zukunftstechnologien mit. Mit ihrer philosophischen Expertise ist sie auch medial präsent. Ihr wissenschaftliches und gesellschaftspolitisches Engagement überzeugte auch die Table.Briefings-Redaktion, die sie in der Kategorie „Gesellschaft“ unter die 100 entscheidenden Köpfe der deutschsprachigen Wissenschaftsszene wählte.
Im Interview spricht Bahr über die Relevanz von Wissenschaftskommunikation und warum es wichtig ist, auch mal zu scheitern.
Was wäre Forschung ohne Wissenschaftskommunikation?
Ohne Wissenschaftskommunikation wäre Forschung einer wichtigen Sache beraubt: des Dialogs mit anderen Bereichen der Gesellschaft. Durch den Dialog profitieren nicht nur diese Bereiche, sondern auch die Wissenschaft selbst – indem sie wertvolle Impulse und Perspektivenerweiterungen erfährt. Aber: Wissenschaftskommunikation ist Arbeit und kein exzentrisches Hobby – und muss auch entsprechend gewürdigt werden. Aktuell wird sie gern zusätzlich zu allem anderen eingefordert, was Wissenschaftler*innen leisten sollen: Forschung, Lehre, Drittmitteleinwerbung, Gremientätigkeiten und vieles mehr. Aber: Wer ein Interview fürs Radio gibt, kann nicht parallel einen Antrag schreiben oder ein Seminar abhalten. Ist Wissenschaftskommunikation gewünscht, muss es dafür auch Freiräume geben!
Warum ist es wichtig, auch mal zu scheitern?
Scheitern ist unausweichlich. Die Frage ist, wie wir damit umgehen: Ob wir es kaschieren und verstecken, weil es verpönt ist – oder ob wir offen darüber reden, damit wir und andere daraus lernen können. Die Wissenschaft schaut allzu oft nur auf Erfolge. Sie belohnt diejenigen, die im ständigen Wettbewerb um Drittmittel gewinnen, ohne sich dafür zu interessieren, wie viele brillante Forschungsideen in den zahlreichen erfolglosen Anträgen steckten – Ideen, von denen die meisten vermutlich nie verwirklicht werden. Und wer mit einem Forschungsvorhaben scheitert, wird große Schwierigkeiten haben, etwas darüber zu publizieren, weil es auch im Publikationswesen nur Platz für Erfolgsgeschichten gibt. Die Wissenschaft braucht dringend eine neue Kultur des Scheiterns!
Wie würden Sie die akademische Welt in drei Worten beschreiben?
Prekär (weil Arbeitsbedingungen und Finanzierung unsicher sind), hierarchisch (weil auf wenige mächtige Professor*innen viele abhängig Beschäftigte treffen), gestaltbar (weil es in unserer Macht als Wissenschaftsgemeinschaft steht, das Wissenschaftssystem besser zu machen). Es fällt vielen schwer, sich das Wissenschaftssystem anders vorzustellen als es jetzt ist. Aber seine Rahmenbedingungen sind nicht in Stein gemeißelt. Es ist Teil meiner wissenschaftspolitischen Arbeit, darauf immer wieder hinzuweisen – konstruktive Vorschläge für bessere Rahmenbedingungen inklusive. Der Verlässlichkeit hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse und der Finanzierung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Über Amrei Bahr
Amrei Bahr ist seit April 2022 Juniorprofessorin für Philosophie der Technik und Information an der Universität Stuttgart. Sie promovierte 2017 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und war zuletzt Postdoc an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Bereiche Angewandte Ethik, Technikphilosophie und Kunstphilosophie. Aktuell forscht sie zur Ethik wissenschaftlichen Publizierens, verbunden mit der Frage, wie das wissenschaftliche Publikationssystem verändert werden muss, um allen Forscher*innen eine faire Teilhabe zu ermöglichen.
Außerdem engagiert sich Bahr in der Wissenschaftskommunikation und setzt sich für faire Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft ein. Dazu hat sie gemeinsam mit Dr. Kristin Eichhorn und Dr. Sebastian Kubon im Juni 2021 die Twitter-Aktion #IchBinHanna initiiert.
Über Table.Briefings
Table.Briefings veröffentlicht regelmäßig ein breites Informationsangebot zu Themen aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Bildung und Gesellschaft. Die Research.Table-Redaktion wählt die wichtigsten Persönlichkeiten aus der deutschsprachigen Wissenschaftsszene in die „Top of the Table“ – ein Ranking in zehn Kategorien, von Wissenschaft über Gesellschaft bis zu Verbänden und NGOs.
Jacqueline Gehrke
Redakteurin Wissenschaftskommunikation